Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen – Aktuelle Leitlinie und kontroverse Positionen

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Geschlechtsdysphorie (GD) im Jugendalter bezeichnet einen anhaltenden Leidensdruck, der daraus entsteht, dass ein junger Mensch sich nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert (AWMF-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie im Kindes- und Jugendalter). In den letzten Jahren ist international und in Deutschland ein deutlicher Anstieg von Jugendlichen zu beobachten, die unter Geschlechtsinkongruenz oder -dysphorie leiden und Beratung oder Behandlung suchen (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie) (). Dieser Anstieg geht einher mit lebhaften fachlichen und öffentlichen Debatten. Während einerseits die Entpathologisierung und Selbstbestimmung betont werden (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*) (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*), warnen andererseits Experten vor vorschneller medizinischer Intervention und vermuten soziale Einflussfaktoren (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ) (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). In Deutschland kulminiert diese Debatte aktuell in der neuen S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie im Kindes- und Jugendalter, die kontroverse Reaktionen hervorgerufen hat. Im Folgenden wird die Leitlinie vorgestellt und die verschiedenen Positionen und Argumente von Fachleuten, Öffentlichkeit und soziologischer Forschung hierzu ausführlich beleuchtet.

Die S2k-Leitlinie 2025: Inhalt, Empfehlungen und Fachgesellschaften

Entstehung und Geltungsbereich: Erstmals wurde 2025 im deutschsprachigen Raum eine S2k-Leitlinie zur Behandlung von Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter veröffentlicht (AWMF-Registernr. 028-014) (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Sie löst die vorherige S1-Leitlinie von 2013 ab (AWMF-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie im Kindes- und Jugendalter) und soll als neuer medizinischer Behandlungsstandard in Deutschland, Österreich und der Schweiz dienen (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Federführend erarbeitet wurde sie von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), unter Mitwirkung von insgesamt 26 medizinischen Fachgesellschaften und Berufsverbänden sowie zwei Patienten- bzw. Selbstvertretungsorganisationen (Bundesverband Trans* und Trans*Kinder-Netz e.V.) (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Diese breite interdisziplinäre Beteiligung sollte einen möglichst großen Konsens sicherstellen (AWMF-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie im Kindes- und Jugendalter) (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Allerdings konnte die Leitlinie wegen „fehlender kontrollierter Wirksamkeitsnachweise und einer insgesamt unsicheren Evidenzlage“ nicht als S3-Leitlinie evidenzbasiert erstellt werden, sondern nur konsensbasiert im S2k-Format (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch).

Begriffsdefinition und diagnostischer Ansatz: Die Leitlinie übernimmt das moderne Verständnis der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ICD-11, wonach eine Geschlechtsinkongruenz (GI) an sich keine psychische Störung darstellt (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Nur der Leidensdruck einer GD wird als behandlungsbedürftig angesehen (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Entsprechend wird ein entpathologisierender, ressourcenorientierter Ansatz betont. Diagnostisch fordert die Leitlinie eine sorgfältige Differenzialdiagnostik über einen längeren Zeitraum, um zwischen einer vorübergehenden Identitätsfindung und einer persistierenden Transidentität zu unterscheiden () (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Sie führt hierbei neu den Begriff einer „vorübergehenden Geschlechtslosigkeit“ ein, um Jugendliche zu beschreiben, die sich (noch) keinem Geschlecht zuordnen (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Gleichzeitig definiert sie „stabile Geschlechtsinkongruenz“ für Fälle, in denen überdauernd keine Identifikation mit dem Geburtsgeschlecht besteht (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Kritiker bemängeln allerdings, dass objektive Kriterien zur Unterscheidung dieser Gruppen fehlen (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Zur Diagnostik gehört laut Leitlinie neben der klinischen Anamnese eine explorative Phase, in der Jugendliche verschiedene Rollen ausprobieren können (). Erst wenn über längere Zeit keine Versöhnung mit dem biologischen Körper gelingt, wird von einer manifesten Geschlechtsdysphorie gesprochen ().

Therapeutische Empfehlungen: Zentrales Leitprinzip ist eine „sorgfältige am Einzelfall orientierte Begleitung“ von Jugendlichen mit GD und ihren Familien (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Die Leitlinie betont einen diskriminierungssensiblen Umgang und die Wahrung der Selbstbestimmung unter Berücksichtigung der altersentsprechenden Einwilligungsfähigkeit der Minderjährigen (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*) (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Konkrete Behandlungsempfehlungen orientieren sich an internationalen Standards (WPATH, Endocrine Society) und umfassen ein stufenweises Vorgehen. Zunächst wird eine psychosoziale und psychotherapeutische Betreuung empfohlen, die ergebnisoffen die Identitätsfindung unterstützt und ggf. entlastende Maßnahmen (z.B. soziale Transition im Alltag) begleitet (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Wichtig ist, dass eine solche Exploration ausdrücklich keine Konversionstherapie darstellt, sondern die Gründe der Dysphorie offen beleuchtet (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). In Fällen ausgeprägter und persistenter GD kann als medizinische Intervention der Einsatz von Pubertätsblockern (GnRH-Analoga) erwogen werden, frühestens ab Einsetzen der Pubertät (Tanner-Stadium II). Die Leitlinie sieht Pubertätsblocker als individuell mögliche Maßnahme zur Zeitgewinnung, um die irreversible körperliche Entwicklung des unerwünschten Geschlechts vorübergehend aufzuhalten () (). Dies soll Jugendlichen ermöglichen, in Ruhe ihre Geschlechtsidentität zu erkunden, ohne dass die fortschreitende Pubertät dies erschwert. Pubertätsblocker sollen jedoch nur unter strengen Indikationen nach ausführlicher Diagnostik und interdisziplinärer Fallkonferenz verordnet werden. In der Regel ist eine mehrmonatige psychotherapeutische Begleitung vor Beginn erforderlich, um Persistenz und Stabilität des Transidentitätswunsches zu prüfen.

Für geschlechtsangleichende Hormone (Östrogen-/Testosteron-Gabe) empfiehlt die Leitlinie eine Zurückhaltung bis in späteres Jugendalter. Üblicherweise wird ein Beginn frühestens mit ~16 Jahren diskutiert – in Einzelfällen möglicherweise früher –, stets aber nach ausreichender Phase der sozialen Alltagserprobung in der gewünschten Rolle und bei fortbestehendem Leidensdruck (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Auch hier ist eine multidisziplinäre Indikationsprüfung vorgesehen. Chirurgische Eingriffe (geschlechtsangleichende Operationen) werden im Minderjährigenalter nur in Ausnahmefällen thematisiert; in der Praxis sollen derartige irreversible Eingriffe in der Regel erst im jungen Erwachsenenalter erfolgen.

Ethische und rechtliche Leitlinienaspekte: Ein besonderes Kapitel widmet sich ethischen Maßgaben. Hervorgehoben wird das Prinzip, die Entscheidungsautonomie entwicklungsangemessen zu fördern, aber auch den Schutzauftrag gegenüber Minderjährigen ernst zu nehmen. Die Leitlinie befürwortet die „Förderung der Selbstbestimmung“ von trans* Jugendlichen und anerkennt ein sich entwickelndes Selbstbestimmungsrecht. Gleichzeitig wird betont, dass Eltern eng einzubeziehen sind. Für den Fall gravierender Konflikte – etwa wenn einsichtsfähige Jugendliche einen medizinischen Schritt wünschen, den die Eltern verweigern – schlägt die Leitlinie vor, eine neutrale juristische Prüfung (Familiengericht) heranzuziehen (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Damit soll im Einzelfall geklärt werden, was dem Kindeswohl am besten entspricht, ohne pauschal Elternrechte oder Kinderrechte zu dominieren. Diese Empfehlung ist allerdings höchst umstritten, da Kritiker befürchten, sie könne im Extremfall bedeuten, dass Eltern das Sorgerecht für medizinische Entscheidungen verlieren (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch).

Zusammenfassend versteht sich die neue S2k-Leitlinie als Konsensusdokument, das einen Paradigmenwechsel in Richtung Entpathologisierung und Akzeptanz von Transidentität im Jugendalter markiert (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*) (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Trotz der limitierten Evidenzlage sollen praktikable Empfehlungen für die Versorgung gegeben werden, um Betroffenen und Behandlern Orientierung und Handlungssicherheit zu bieten (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*) (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Das zentrale Anliegen ist laut Leitlinie eine ausgewogene, multidisziplinäre Betreuung, die weder eine alleinige Affirmation „um jeden Preis“ noch eine pauschale Zurückhaltung vorgibt, sondern den individuellen Fall in den Mittelpunkt stellt (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*) (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*).

Reaktionen auf die Leitlinie: Unterstützung, Kritik und Ablehnung

Die Veröffentlichung der Leitlinie im März 2025 stieß auf ein geteiltes Echo in Fachwelt und Öffentlichkeit. Unterstützende Stimmen begrüßen die Leitlinie als überfälligen Fortschritt für die Gesundheitsversorgung von trans* Jugendlichen. So lobt der Bundesverband Trans* das Dokument als wissenschaftlich fundiert und am Wohl der Betroffenen orientiert (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Der BVT* hebt hervor, die Leitlinie basiere auf evidenzbasierter Medizin im Einklang mit WHO-Rahmenvorgaben und medizinethischen Grundsätzen (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Insbesondere die Kapitel zum diskriminierungssensiblen Umgang und zu ethischen Fragen werden als Qualitätsmerkmal hervorgehoben, da sie Praktikern klare Empfehlungen für einen vorurteilsfreien Umgang mit trans* Jugendlichen geben (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Aus Perspektive der Community schafft die Leitlinie fachliche Orientierung und erhöht die Handlungssicherheit, was letztlich zu besserer Versorgung und weniger Angst bei gendernonkonformen Jugendlichen beitragen könne (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Vertreter*innen der Leitlinien-Autorengruppe – etwa Prof. Georg Romer von der DGKJP – betonen ebenfalls, das Papier stelle den aktuellen wissenschaftlichen Konsens dar und helfe, Falschinformationen entgegenzutreten (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Insgesamt sehen Befürworter in der Leitlinie einen menschenrechtsorientierten Fortschritt, der Selbstbestimmungsrechte stärke und die bisher uneinheitliche Versorgung verbessert.

Gleichzeitig regt sich erheblicher fachlicher Widerspruch gegen die Leitlinie. Bereits im Konsultationsstadium hatten 2024 vierzehn renommierte Universitätsprofessoren der Kinder- und Jugendpsychiatrie in einem offenen Brief umfangreiche Kritik am Leitlinienentwurf geübt (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). In der nun finalen Fassung sehen viele Fachleute ihre Bedenken nicht ausgeräumt. So hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) – mit ~10.000 Mitgliedern die größte psychiatrische Fachgesellschaft – ein Sondervotum abgegeben und lehnt insbesondere die Präambel der Leitlinie ab (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Die DGPPN kritisiert einen primär affirmativen Ansatz, der „den Wunsch und Willen der behandlungssuchenden Person zum einzigen relevanten Maß“ erkläre und wichtige wissenschaftliche Standards vermissen lasse (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Aus ihrer Sicht genügt die Leitlinie nicht den Anforderungen evidenzbasierter Empfehlungen, um junge Menschen angemessen zu unterstützen (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Auch innerhalb der federführenden DGKJP selbst gab es Unmut: Der Vorstand der Schweizer Fachgesellschaft für KJ-Psychiatrie (SGKJPP), die an der Leitlinie mitarbeiten sollte, verweigerte die Zustimmung und schloss sich den Kritikern an (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch).

Ein zentraler Kritikpunkt ist die Empfehlung zum Einsatz von Pubertätsblockern und Hormonen. Ein großer Teil der Kinder- und Jugendpsychiater in Deutschland teilt die Sorge, dass diese Eingriffe ohne belastbare Evidenz für einen nachhaltigen Nutzen propagiert werden (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Prof. Florian Zepf (Uniklinik Jena) – einer der Wortführer der kritischen Experten – moniert, die Leitlinie spiegele nicht ausreichend wider, dass es bislang keine klaren Belege für langfristige wesentliche Verbesserungen der psychischen Gesundheit durch Pubertätsblocker oder geschlechtsangleichende Hormone bei Minderjährigen gibt (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Gleichzeitig seien aber potenzielle Risiken bis hin zu irreversiblen Auswirkungen bekannt, weshalb ein solcher Behandlungsansatz zum jetzigen Zeitpunkt nur als experimentell eingestuft werden könne (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Entsprechend hatte schon der Deutsche Ärztetag 2023 gefordert, hormonelle Behandlungen bei Jugendlichen ausschließlich im Rahmen von Studien durchzuführen (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch).

Weitere Einwände beziehen sich auf die Diagnosekriterien und Grundannahmen der Leitlinie. Kritiker halten der Leitlinie vor, sie basiere auf wissenschaftlich unbewiesenen Annahmen, etwa dass jedes Kind eine unveränderliche innere Geschlechtsidentität völlig unabhängig vom biologischen Geschlecht habe (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Dieses Konzept sei empirisch nicht belegt und ignoriere, dass das Selbstbild von Jugendlichen oft starken Veränderungen unterliege (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). So warnt der trans Identitätsexperte und Publizist Till Randolf Amelung (selbst Trans-Mann) vor einer vorschnellen Festlegung auf Transidentität: Viele Jugendliche, die sich zeitweilig als trans betrachteten, fänden später doch zu einer anderen Identität – frühe medizinische Schritte könnten dann bereut werden (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Zepf kritisiert zudem die oben erwähnte neue Unterscheidung in „stabile GI“ vs. „vorübergehende Geschlechtslosigkeit“ als klinisch kaum handhabbar, da keine klaren Kriterien genannt werden, wie diese Kategorien im Voraus trennscharf diagnostiziert werden könnten (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Auch die implizite Herabstufung des biologischen Geschlechts als völlig irrelevant für die Identität wird als philosophisch und entwicklungspsychologisch fragwürdig erachtet (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch).

Insgesamt befürchten viele kritische Fachleute, dass die Leitlinie trotz guter Absichten wesentliche evidenzbasierte Erkenntnisse unberücksichtigt lässt und damit die Versorgung eher verschlechtern könnte (Microsoft Word – Gemeinsame Kommentierung Leitlinienentwurf S2k_210524_Deutsch_final.docx) (Microsoft Word – Gemeinsame Kommentierung Leitlinienentwurf S2k_210524_Deutsch_final.docx). Sie mahnen an, dass eine Leitlinie mit so großer Tragweite den höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügen muss – andernfalls drohe ein Vertrauensverlust in die Kinder- und Jugendpsychiatrie (Microsoft Word – Gemeinsame Kommentierung Leitlinienentwurf S2k_210524_Deutsch_final.docx). Einige Experten fordern daher sogar, die Leitlinie vorerst zurückzuziehen und grundlegend zu überarbeiten (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch).

Öffentliche Reaktionen: Die gegensätzlichen Positionen schlagen sich auch in den Medien nieder. Trans-Aktivist*innen und viele Betroffene begrüßen die Leitlinie als humanen Fortschritt, während kritische Journalist*innen und einige feministische Stimmen sie teils scharf ablehnen. So bezeichnete ein Beitrag auf Queer Nations (einem Blog für kritische Perspektiven auf Gender-Themen) die neue „Trans-Kinder-Leitlinie“ als „Skandal“, weil sie aus Sicht der Autoren die aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen in Ländern wie Schweden und Großbritannien ignoriere und einen Sonderweg gehe. Auf der anderen Seite verurteilt der BVT* in einer Stellungnahme die Verbreitung von „Falschinformationen“ durch angeblich antifeministische oder rechtsextreme Kreise, die unter dem Deckmantel des Kinderschutzes gegen die Selbstbestimmungsrechte von trans* Personen Stimmung machten (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Diese harsche Wortwahl zeigt, wie polarisiert die Debatte inzwischen ist: Jede Seite wirft der anderen Ideologie und Gefährdung von Jugendlichen vor.

Zusammenfassend erfährt die Leitlinie sowohl Lob als auch Ablehnung. Befürworter sehen einen lange erwarteten Schritt zur Standardisierung einer einfühlsamen Versorgung, Kritiker sehen eine vorschnelle Festschreibung fraglicher Ansätze. Die Kontroverse spiegelt die schwierige Gratwanderung wider, in einem dynamischen, evidenzarmen Feld konsistente Empfehlungen zu geben.

Expertenpositionen im Überblick

Im Folgenden werden die Positionen dreier führender deutscher Experten auf dem Gebiet der Geschlechtsdysphorie im Jugendalter dargestellt. Diese Professoren – Alexander Korte, Georg Romer und Florian Zepf – haben sich öffentlich ausführlich zu dem Thema geäußert und stehen exemplarisch für unterschiedliche Sichtweisen innerhalb der Fachwelt.

Prof. Dr. Alexander Korte (LMU München)

Hintergrund: Prof. Alexander Korte ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der LMU München und befasst sich seit rund zwei Jahrzehnten mit Geschlechtsidentitätsproblematiken bei Jugendlichen (Trans-Kinder: Ein Medizin-Skandal? – Emma). Er hat zahlreiche betroffene Jugendliche behandelt und ist ein prominenter Kritiker einer unreflektiert affirmativen Behandlungspraxis. Korte war unter anderem 2020 als Sachverständiger im Bundestag zur Reform des Transsexuellengesetzes angehört worden (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Seine Äußerungen – etwa in Interviews mit dem Spiegel (2019) und der taz (2022) – haben viel Aufmerksamkeit und auch Gegenwind von Kollegen erzeugt (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ).

Kernthesen: Korte vertritt die Auffassung, dass der beobachtete starke Anstieg von Transidentifikationen unter Jugendlichen nicht allein mit gewachsenem Zutrauen erklärbar ist, sondern zum Teil ein sozial beeinflusstes Phänomen darstellt. Er verweist auf das Konzept der Rapid Onset Gender Dysphoria (ROGD), das seine US-Kollegin Lisa Littman 2018 beschrieben hat (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Demnach präsentieren sich vermehrt Jugendliche – vor allem Mädchen – plötzlich in der Pubertät als trans, obwohl in der Kindheit keine Anzeichen von Geschlechtsdysphorie bestanden (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Korte beobachtet, dass es in bestimmten Peergroups oder Internet-Communities mittlerweile „hip“ sei, trans zu sein“, was insbesondere unsichere weibliche Jugendliche anziehe (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Er erklärt: „In bestimmten Szenen ist es hip, trans zu sein. Davon fühlen sich in allererster Linie weibliche Jugendliche angesprochen, die einen sexualitätsbezogenen inneren Konflikt haben, unter Rollenklischees oder Schönheitsidealen leiden – oder sexuell traumatisiert sind.“ (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Hier deutet Korte an, dass andere psychosoziale Probleme (z.B. Umgang mit dem eigenen Körper, Sexualität, Trauma) sich im Zeitgeist der Genderdebatte in eine Transidentifikation übersetzen könnten.

Korte warnt davor, dass die Medien mit Vorzeige-Transpersonen ein einseitig positives Bild zeichnen: Überschwänglich werde suggeriert, eine Transition löse alle Probleme und führe quasi ins Paradies (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Die Realität vieler langjährig behandelter transsexueller Patienten sei aber oft ernüchternder: Die Ergebnisse von Operationen entsprechen nicht immer den Erwartungen, lebenslange Hormoneinnahme ist nötig, die Partnersuche kann erschwert sein und sexuelle Funktionsfähigkeit beeinträchtigt (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Er zitiert die verstorbene Sexualwissenschaftlerin Sophinette Becker mit den Worten, „die wenigsten werden glückliche Menschen“ und viele würden chronisch depressiv und weiterhin psychiatrisch behandlungsbedürftig bleiben (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Aus diesem Grund hält Korte eine kritische Aufklärung der Jugendlichen über realistische Perspektiven für unerlässlich, anstatt nur die vermeintlich einfache Lösung einer Geschlechtsangleichung zu propagieren.

Einstellung zu Behandlungen: Prof. Korte plädiert für große Zurückhaltung bei medizinischen Interventionen im Jugendalter. Psychotherapie und Abwarten haben für ihn Vorrang. Er betont, dass laut Studien die Mehrheit der Kinder mit Gender-Dysphorie sich nach der Pubertät mit ihrem Geburtsgeschlecht versöhnt – häufig würden aus gender-nonkonformen Kindern homosexuelle Erwachsene, ohne Transitionsbedarf (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Korte fasst provokativ zusammen: Pubertätsblocker sind für ihn eine „frühe Weichenstellung“ in Richtung Transition und man könne sie auch einen „Homosexualitätsverhinderer“ nennen (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Denn wenn die natürliche Pubertät unterdrückt wird, so Korte, entfällt die Chance, dass ein genderunkonformes Kind durch die körperliche Reifung doch noch sein Geschlecht akzeptiert; fast alle blockierten Jugendlichen schlagen später den Weg über Hormone und Operation ein (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Daher sieht er den Einsatz von Pubertätsblockern als medizinethisch höchst fragwürdig an. Er verweist auf die unsichere Studienlage und mögliche Langzeitfolgen und begrüßt, dass z.B. Schweden diese Behandlung jüngst ausgesetzt hat (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Tatsächlich hat die Schwedische Gesundheitbehörde 2021 entschieden, Pubertätsblocker bei unter 18-Jährigen nur noch in Ausnahmefällen oder Studien zu erlauben (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ), was Kortes Vorsicht stützt.

Korte lehnt das Konzept einer rein „affirmativen“ Therapie ab, bei der der geäußerte Wunsch des Jugendlichen automatisch den Behandlungsplan bestimmt. Er betont, es gebe durchaus echte Fälle von persistenter Transsexualität im Jugendalter – „eine kleine Subgruppe von geschlechtsdysphorischen Jugendlichen, bei denen tatsächlich eine profunde, überdauernde Identitätstransposition im Sinne einer Transsexualität vorliegt“ (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Diese könne und solle man unterstützen. Das Problem sei jedoch, im Voraus fast unmöglich zu bestimmen, welcher Jugendliche zu dieser Subgruppe gehöre, da sichere Prädiktoren fehlen (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Deshalb müsse man bei allen Jugendlichen zunächst ergebnisoffen arbeiten, anstatt vorschnell irreversible Schritte zu setzen. In seiner eigenen Münchner Klinik gestattet Korte eine medizinische Transition erst nach längerer Prüfung: Cross-Sex-Hormone werden nur in Einzelfällen und erst nach mindestens einjähriger psychotherapeutisch begleiteter Alltagserprobung in der gewünschten Geschlechtsrolle verordnet (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Trotz dieser strengen Selektion gesteht er, habe er manchmal „ein ungutes Gefühl“ dabei – aber er ziehe es vor, solche schwierigen Fälle selbst zu behandeln, anstatt die Jugendlichen in den unkontrollierten Bezug von Hormonen im Internet zu treiben (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Dieser Pragmatismus zeigt, dass Korte nicht grundsätzlich jede medizinische Hilfe verweigert, aber die Hürden sehr hoch ansetzt.

Gesellschaftliche und rechtliche Position: Korte hat sich kritisch zur geplanten Reform des Personenstandsrechts geäußert. Die 2024 beschlossene Ablösung des Transsexuellengesetzes durch ein Selbstbestimmungsgesetz, das es Jugendlichen ab 14 Jahren ermöglichen soll, ihren Geschlechtseintrag per Selbstauskunft zu ändern (ggf. gegen den Willen der Eltern mit Gerichtsbeschluss), hält er für gefährlich. Er warnte, es sei ein „großer Fehler“, Minderjährigen eine solche Entscheidung ohne ausreichende fachliche Begleitung zu ermöglichen (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ) (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Diese Haltung brachte ihm den Vorwurf ein, „transfeindliche“ Positionen salonfähig zu machen – Korte selbst sieht sich jedoch politisch links-grün verortet und betont, dass seine Sorge dem Kindeswohl gilt, nicht ideologischen Motiven (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Er kritisiert ferner die vollständige Entpathologisierung des Trans-Themas: Ohne Krankheitswert keine Kostenübernahme durch die Krankenkassen, so Korte, daher sei die ICD-11-Neuklassifizierung als „Zustand“ zwar gut gemeint, aber praktisch problematisch (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Die Debatte, Transidentität nicht mehr als Störung zu bezeichnen, hält er für „unselig“ und zum Schaden der Betroffenen, da sie letztlich deren Ansprüche auf medizinische Leistungen untergraben könne (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Diese Sichtweise steht im Kontrast zu vielen Aktivisten, findet aber in der Medizinethik auch Unterstützung, da ein gewisser Leidensdruck ja Voraussetzung für ärztliches Tätigwerden ist.

Zusammenfassung: Prof. Korte steht für eine vorsichtige, abwägende Position. Er mahnt, dass die aktuelle Trans*-Welle unter Jugendlichen kritisch hinterfragt werden sollte, um Fehlentscheidungen vorzubeugen. Sein Fokus liegt auf dem Schutz junger Menschen vor vorschnellen, irreversiblen Eingriffen, die sich als unnötig oder schädlich erweisen könnten. Gleichzeitig erkennt er echte Transidentität als Phänomen an, fordert aber zuverlässigere Kriterien, bevor medizinisches Handeln erfolgt. Kortes Perspektive ist die einer gewissen Skepsis gegenüber Trends und einer Betonung klassischer therapeutischer Zurückhaltung („primum non nocere“ – zuerst einmal nicht schaden).

Prof. Dr. Georg Romer (Universität Münster)

Hintergrund: Prof. Georg Romer leitet die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Münster. Er gilt als einer der erfahrensten klinischen Experten für Geschlechtsdysphorie im Jugendalter in Deutschland und hat nach eigenen Angaben in den letzten 25 Jahren bei etwa 600 Jugendlichen die Indikation für Pubertätsblocker mitverantwortet () (). Romer war als Vertreter der DGKJP federführend an der Erarbeitung der neuen S2k-Leitlinie beteiligt und tritt öffentlich als Befürworter eines verantwortungsvollen, aber zugänglichen Behandlungsangebots für trans* Jugendliche auf. In Interviews – z.B. mit RiffReporter (2023) – erläutert er seine Haltung und geht auf die Sorgen von Skeptikern ein.

Grundposition: Prof. Romer betont zunächst, dass Geschlechtsinkongruenz keine Krankheit im klassischen Sinne sei, aber der damit verbundene Leidensdruck sehr real und oft erheblich ist (). Jugendliche mit einer starken Dysphorie erleben die Pubertät des biologischen Geschlechts als zunehmend traumatisch. Romer spricht hier von einem „ethischen Dilemma der Irreversibilität“: Ohne Eingreifen macht die körperliche Entwicklung fortschreitende, irreversible Veränderungen (z.B. tiefe Stimme, Körperbehaarung bei biologischen Jungen oder Brustentwicklung bei biologischen Mädchen), die für die Betroffenen kaum erträglich sind (). Andererseits sind medizinische Eingriffe in junge, sich noch entwickelnde Körper ebenfalls heikel. In diesem Spannungsfeld plädiert Romer dafür, den individuellen Leidensdruck sehr ernst zu nehmen und bei klarer Indikation behutsam intervenieren zu dürfen – zum Wohle der Betroffenen.

Romer ist ein Verfechter der Sorgfaltspflicht, widerspricht aber dem Vorwurf, die Behandlung erfolge übereilt oder leichtfertig. Im Gegenteil, er betont, dass in Deutschland an allen spezialisierten Zentren mit größter Zurückhaltung nach etablierten Leitlinien vorgegangen werde (). Den oft geäußerten Verdacht, es würden Jugendlichen zu schnell Pubertätsblocker „verschrieben“, nennt er „unsachlich“ und realitätsfern (). „An allen mir bekannten spezialisierten Behandlungszentren … wird mit größter Sorgfalt entsprechend den Empfehlungen und Leitlinien vorgegangen“, so Romer (). Jeder Behandler sei sich der enormen Verantwortung bewusst, die eine derart komplexe Entscheidung mit sich bringe (). Damit will er klarstellen, dass es keinen Behandlungsboom ohne Indikation gebe, sondern jeder einzelne Fall ausführlich geprüft wird.

Therapeutische Haltung: Romer befürwortet ein „geschütztes Ausprobieren“ der gewünschten Geschlechtsrolle (Alltagstest) in Kombination mit psychotherapeutischer Begleitung als wichtigen ersten Schritt. Sollte sich dadurch die Geschlechtsdysphorie nicht legen, hält er – in Übereinstimmung mit internationalen Leitlinien – den gezielten Einsatz von Pubertätsblockern für ein sinnvolles Instrument, um Jugendlichen eine Atempause zu verschaffen. Nach aktuellem Wissensstand angewendet, können Pubertätsblocker von Vorteil für Betroffene sein (). Romer weist darauf hin, dass es medizinisch geboten sein kann, irreversible Entwicklungen des Körpers zeitweise aufzuhalten, bis Klarheit besteht (). In der Regel beginnt man damit erst, wenn die Dysphorie bereits längere Zeit besteht und andere Maßnahmen (Beratung, soziale Transition) ausgeschöpft sind.

Ein wichtiges Argument Romers ist, dass man Jugendlichen in großer Not Hoffnung und Handlungsoptionen geben muss, um suizidale Krisen abzuwenden. Studien zeigen, dass unbehandelte schwere GD mit hohen Depressions- und Suizidraten einhergeht. Hier sieht Romer eine Pflicht der Medizin gegenzusteuern. Er appelliert an Skeptiker, ihre Vorbehalte zu überwinden und die Erfahrungen aus der Praxis anzuerkennen (). Wörtlich sagt er: „Ich habe eine Bitte: Es geht um die Überwindung von Voreingenommenheit und die Bereitschaft, dazuzulernen.“ (). Diese Offenheit habe auch er selbst erst mit der Zeit lernen müssen () – ein Hinweis darauf, dass auch er möglicherweise anfänglich Bedenken hatte, die sich durch die klinische Erfahrung relativiert haben.

Umgang mit der Kontroverse: Romer zeigt Verständnis dafür, dass die steigenden Fallzahlen Fragen aufwerfen. Er relativiert jedoch den angeblichen Jugend-Trend mit Verweis auf Daten: So sei zwar die Zahl junger Menschen in Behandlung deutlich gestiegen (eine Hochrechnung der Barmer-Krankenkasse zeigte einen 3-fachen Anstieg neuer Behandlungsfälle von 2014 bis 2019) (). Dieser Anstieg betreffe aber alle Altersgruppen, nicht nur Teenager, was eher für einen generellen Nachhol- und Entstigmatisierungseffekt spreche als für eine Mode unter Jugendlichen (). Die höheren Fallzahlen erklärt Romer vor allem mit gewachsener Bekanntheit und Akzeptanz: Immer mehr Betroffene trauen sich Hilfe zu suchen, während sie früher im Verborgenen litten. Romer weist die Vorstellung zurück, Transidentität sei bloß eine „Laune in der Pubertät“ – nach seiner langjährigen Erfahrung zeichnet sich echte Transidentität meist früh ab und ist kein spontanes Produkt sozialer Beeinflussung (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Damit widerspricht er direkt Kortes ROGD-These. Romer erkennt allerdings an, dass es unterschiedliche Sichtweisen unter Fachleuten gibt; er selbst sieht jedoch die Mehrheit der Kollegen auf seiner Seite (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Er verweist auf internationale Stellungnahmen führender pädiatrischer und psychiatrischer Verbände, die ebenfalls den affirmativen Ansatz unterstützen, und betont, die Gegenstimmen seien in der Minderheit (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ).

Ethische und rechtliche Sicht: Romer unterstützt im Wesentlichen die Linie der neuen Leitlinie. Er befürwortet die Stärkung der Selbstbestimmungsrechte von Jugendlichen, sofern ihre Einsichtsfähigkeit gegeben ist, und spricht sich für eine konstruktive Lösung in Fällen aus, in denen Eltern und Kinder uneins sind – hier sollten Mediations- oder Gerichtsverfahren im Sinne des Kindeswohls entscheiden, anstatt notwendige Behandlungen grundsätzlich zu blockieren. Öffentlich hat Romer sich positiv über das geplante Selbstbestimmungsgesetz geäußert, das den entwürdigenden Gutachterprozess des alten Transsexuellengesetzes ablösen soll. Auch betont er die Bedeutung der Entpathologisierung: Die Entlassung der Geschlechtsinkongruenz aus dem Kapitel der psychischen Krankheiten in der ICD-11 sei ein wichtiger Schritt, um Betroffenen die Stigmatisierung als „krank“ zu ersparen (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Allerdings müssten Versorger dennoch sensibel bleiben, da längst nicht überall die Haltungen so offen seien, wie es wünschenswert wäre (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*).

Romer warnt indirekt vor einer Politisierung des Themas von Seiten bestimmter Gruppierungen. Er macht deutlich, dass fachliche Diskussion und legitime Kritik willkommen seien, nicht jedoch pauschale Angriffe, die oft von ideologischen Lagern kämen. Die aktuelle Leitlinie sieht er als wissenschaftlich fundierte Grundlage, um genau solchen Fehlinformationen entgegenzutreten (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Damit stellt er sich entschieden gegen die Darstellung, Behandler wie er würden leichtfertig handeln – vielmehr versucht er die Diskussion auf Basis von Fakten und Erfahrung zu führen, jenseits von „Horrorszenarien“. Sein Appell richtet sich an alle Beteiligten, das Wohl der betroffenen Jugendlichen nie aus den Augen zu verlieren und ideologische Gräben zu überwinden.

Zusammenfassung: Prof. Romer repräsentiert eine ausgewogen affirmative Position: Er anerkennt sowohl die existenziellen Nöte trans* Jugendlicher als auch die Unwägbarkeiten der Behandlung, versucht aber, auf Basis der bisherigen Erfahrungen eine pragmatische Hilfestellung zu geben. Leitmotive sind für ihn Empathie, individuelle Abwägung und medizinische Verantwortung. Seine langjährige Praxis hat ihn überzeugt, dass rechtzeitig angebotene Maßnahmen wie Pubertätsblocker vielen Jugendlichen erheblich helfen können – vorausgesetzt, sie werden umsichtig indiziert. Er steht damit eher auf der Seite, die die neuen Entwicklungen positiv aufnimmt, jedoch die Bedeutung gründlicher Diagnostik und Begleitung betont, um Fehlbehandlungen zu vermeiden.

Prof. Dr. Florian Zepf (Universität Jena)

Hintergrund: Prof. Florian D. Zepf ist Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Uniklinikum Jena. Er hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Evidenzlage zu Behandlungen bei Geschlechtsdysphorie beschäftigt und ist Hauptautor einer aktuellen systematischen Übersichtsarbeit („Beyond NICE“, 2024) zur Wirksamkeit von Pubertätsblockern und Hormongaben bei Minderjährigen (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie) (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie). Zepf war außerdem federführend an der bereits erwähnten kritischen Stellungnahme von 14 Experten zum Leitlinienentwurf 2024 beteiligt (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Er tritt als Stimme der Mahnung auf, die wissenschaftliche Grundlage nicht dem Aktivismus zu opfern, und betont den Kinderschutz.

Evidenzbasierte Perspektive: Im Zentrum von Zepfs Position steht die Forderung nach strikter Wissenschaftlichkeit. Seine Analysen der Studienlage zeigen, dass die aktuellen Behandlungsmethoden (Pubertätsblockade, gegengeschlechtliche Hormontherapie) bei Jugendlichen nicht durch robuste Daten gestützt sind. In der von ihm mitverfassten Übersichtsarbeit wurde die internationale Literatur seit 2020 ausgewertet – mit ernüchterndem Resultat: „Die Studienlage zur PB- und CSH-Gabe bei Minderjährigen mit GD ist weiterhin sehr begrenzt und basiert auf wenigen Studien mit unzureichender Methodik und Qualität“, so Zepf et al. 2024 (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie). Es fehlen aussagekräftige Langzeitstudien; die vorhandenen Untersuchungen weisen konzeptionelle und methodische Mängel auf (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie). Insbesondere konnte kein klarer Nutzen der Pubertätsblocker oder Hormone in Bezug auf die Geschlechtsdysphorie oder die allgemeine psychische Gesundheit nachgewiesen werden (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie). Die meisten Studien sind unkontrolliert und kurzfristig. Zepf schlussfolgert daher, derzeit deute nichts mit ausreichender Zuverlässigkeit darauf hin, dass sich GD und psychische Belastung durch diese Behandlungen wesentlich verbessern (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie).

Angesichts dieser unklaren Nutzenlage und der Tatsache, dass es sich um teils irreversible Eingriffe handelt, fordert Zepf, solche Behandlungen nur im Rahmen klinischer Studien oder strenger Protokolle einzusetzen (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie). Er verweist hier auf das Vorbild Großbritanniens, wo nach dem Cass-Report 2022 entschieden wurde, Pubertätsblocker bis auf Weiteres nur noch in Studien zu geben (AWMF-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie im Kindes- und Jugendalter). Für Zepf ist dies der verantwortungsvollste Weg: Betroffene erhalten Zugang zu den Maßnahmen, aber unter kontrollierter Beobachtung, sodass Erkenntnisgewinn möglich ist und Risiken minimiert werden.

Kindeswohl und Therapieprinzipien: Zepf sieht die aktuelle Entwicklung auch unter dem Aspekt des Kinder- und Jugendschutzes. International zeichne sich der Trend ab, vorsichtiger zu agieren – neben England haben Schweden, Finnland und andere die Indikationen deutlich eingeschränkt (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Die deutsche Leitlinie mit ihrem weitgehenden Affirmationsansatz isoliert die deutschsprachigen Länder aus Zepfs Sicht und läuft Gefahr, grundlegende Prinzipien zu verletzen (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). So betont er das ethische Konzept des Rechts des Kindes auf eine offene Zukunft: Kinder sollten möglichst nicht in Entscheidungen gedrängt werden, die ihren späteren Lebensweg irreversibel festlegen, bevor sie die Reife haben, dies selbst zu überblicken (Microsoft Word – Gemeinsame Kommentierung Leitlinienentwurf S2k_210524_Deutsch_final.docx). Frühhormonelle Eingriffe könnten dieses Recht unterminieren, wenn sich später herausstellt, dass die Transidentität doch nicht von Dauer ist. Zepf argumentiert, im Zweifel müsse daher zugunsten der reversiblen Optionen entschieden werden – also eher Abwarten und psychotherapeutische Unterstützung statt vorschneller Medikalisierung (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Die Sorge um das Kindeswohl spiegelt sich auch in der Elternperspektive: Zepf erwähnt zustimmend Initiativen besorgter Eltern wie TransTeens Sorge Berechtigt, die warnen, manche Kinder würden „zu früh und zu schnell“ in ihrer Trans-Diagnose bestätigt und unnötig medikalisiert (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). GD könne auch ein Ausdruck anderer Probleme oder ein Bewältigungsmechanismus sein, der sich mit der Zeit von selbst relativiert (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Dieses Bewusstsein sollte im Versorgungssystem verankert sein.

Ein weiterer wichtiger Punkt für Zepf ist die Rolle der Psychotherapie. Er wehrt sich entschieden gegen die Gleichsetzung von explorativer Therapie mit „Konversionsbehandlung“. Eine sorgfältige, ergebnisoffene psychotherapeutische Exploration ist für ihn kein Versuch, jemanden umzupolen, sondern ein Standardvorgehen, um die komplexen Hintergründe von Geschlechtsdysphorie zu verstehen (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Er betont: „Eine solche Therapie ist keine Konversionstherapie, sondern zielt darauf ab, die Gründe für geschlechtsspezifische Symptome ergebnisoffen zu explorieren.“ (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Die Unterstellung, allein schon das Abwarten oder Hinterfragen einer Trans-Identifikation sei transphob oder konversionsartig, hält er für fachlich falsch und kontraproduktiv. Vielmehr müsse man anerkennen, dass Selbstbilder bei Minderjährigen oft fluid sind und sich verändern können (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Daher gelte es, Jugendlichen durch Psychotherapie zu helfen, sich selbst besser zu verstehen, anstatt sie sofort in die medizinische Transition zu treiben.

Kritik an der Leitlinie: Zepf hat einige der deutlichsten öffentlichen Kritikpunkte an der neuen Leitlinie formuliert. Er bemängelt die methodische Schwäche (Konsensus statt Evidenz) und sieht wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert. So referiert er, dass selbst die Leitlinienautoren einräumen mussten, aufgrund der unsicheren Datenlage die angestrebte S3-Evidenzbasiertheit verfehlt zu haben (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Dennoch habe man Empfehlungen ausgesprochen, die aus Sicht Zepfs nicht ausreichend durch harte Fakten gedeckt sind. Beispielsweise kritisiert er die vorgeschlagene Unterscheidung „Geschlechtsinkongruenz vs. Geschlechtslosigkeit“ als unpraktikabel (wie oben erwähnt) (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Er sieht auch den affirmativen Grundtenor kritisch: Der Leitlinien-Entwurf stelle den Willen des Jugendlichen absolut, anstatt ihn als einen von mehreren Faktoren zu betrachten (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Damit drohe man, so Zepf, essenzielle Prinzipien der Kinder- und Jugendpsychiatrie – wie die therapeutische Neutralität und den entwicklungspsychologischen Blick – zu vernachlässigen (Microsoft Word – Gemeinsame Kommentierung Leitlinienentwurf S2k_210524_Deutsch_final.docx). Die Autorengruppe um Zepf warnt, dass die Leitlinie in jetziger Form im Versorgungssystem nicht vorbehaltlos übernommen werden sollte (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Viele Kliniker würden sich gezwungen sehen, aus Verantwortungsgefühl davon abzuweichen. Er plädiert daher dafür, die Leitlinie dringend zu überarbeiten und externe unabhängige Moderation in den Prozess einzubinden (Microsoft Word – Gemeinsame Kommentierung Leitlinienentwurf S2k_210524_Deutsch_final.docx), um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen.

Fazit seiner Position: Prof. Zepf steht für eine streng evidenzorientierte und konservative Herangehensweise. Sein Hauptanliegen ist, Jugendlichen weder eine wirksame Behandlung vorzuenthalten noch ihnen aufgrund von Ideologie Schaden zuzufügen. Er fordert Transparenz darüber, was wir wissenschaftlich gesichert wissen und was nicht. In seinen Augen wird derzeit die Parole „nicht schaden“ (Non-Maleficence) zu wenig beachtet, wenn Behandlungen trotz unsicherer Evidenz propagiert werden. Zepf’s Perspektive rückt also den medizinischen Grundsatz der Vorsicht ins Zentrum. Damit nimmt er eine Gegenposition zu einer vorschnellen Affirmation ein, ohne jedoch die Existenz und das Leid von trans* Jugendlichen zu negieren. Er möchte aber deren Behandlung auf ein solides Fundament stellen und bis dahin Zurückhaltung üben.

Gesellschaftspolitische Debatte in Deutschland: Medien und Recht

Die Diskussion um Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen ist in Deutschland längst nicht mehr auf Fachkreise begrenzt, sondern ein gesellschaftspolitisches Streitthema. Mehrere Entwicklungen spielen hier hinein:

Reform des Transsexuellenrechts: Ein zentraler Punkt ist das bereits erwähnte Selbstbestimmungsgesetz (SBGG), das der Deutsche Bundestag im April 2024 verabschiedet hat. Es tritt zum 1. November 2024 in Kraft und ermöglicht es Trans*- und nicht-binären Personen, den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister deutlich einfacher zu ändern (Selbstbestimmungsgesetz tritt in Kraft – Bundesregierung.de) (Transmenschen: Bundestag beschließt Selbstbestimmungsgesetz). Für Volljährige reicht künftig eine Selbstauskunft beim Standesamt; bei Jugendlichen ab 14 Jahren ist die Zustimmung der Sorgeberechtigten erforderlich, können diese aber im Streitfall durch eine Entscheidung des Familiengerichts ersetzt werden. Dieses Gesetz soll das alte Transsexuellengesetz (TSG) ablösen, das bislang zwei psychologische Gutachten und eine gerichtliche Entscheidung für eine Änderung von Vornamen/Geschlechtseintrag verlangte. Die Regierungsparteien und Menschenrechtsorganisationen begrüßen das SBGG als überfälligen Abbau von Diskriminierung („Das Selbstbestimmungsgesetz war überfällig“ | Institut für …). Insbesondere für trans Jugendliche bedeutet es, dass sie nicht mehr jahrelange Gutachtenverfahren durchlaufen müssen, um z.B. in der Schule mit ihrem gewünschten Namen anerkannt zu werden. Kritiker des Gesetzes – zu denen auch manche Fachpersonen wie Alexander Korte zählen – befürchten allerdings Missbrauchsmöglichkeiten und sehen das Elternrecht gefährdet, wenn Minderjährige gegen den Willen der Eltern den Eintrag ändern dürfen (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). In konservativen Kreisen und Teilen der Frauenrechtsbewegung (etwa um Alice Schwarzers Zeitschrift EMMA) stößt das Gesetz ebenfalls auf Ablehnung, da sie generell eine Verwischung biologischer Geschlechter ablehnen und Konsequenzen für geschützte Frauenräume anführen. Diese juristische Neuregelung hat die Debatte um Transidentität bei Jugendlichen stark angefacht, da sie rechtliche Selbstbestimmung vor medizinischer Abklärung ermöglicht – was Befürworter als emanzipatorisch feiern, Kritiker aber als vorschnell und riskant ansehen.

Mediale Kontroversen: In den Medien wurden Themen wie „Trans-Kinder“ und „Pubertätsblocker“ zunehmend aufgegriffen, teils sachlich, teils polemisch. Öffentliche-rechtliche Sender wie der WDR strahlten Dokumentationen aus (z.B. „Die Story“ 2023), in denen auch kritische Experten wie Korte zu Wort kamen. Solche Beiträge wurden von LGBTQ+-Organisationen und queeren Medien mitunter scharf kritisiert – etwa titelte queer.de empört von „transphoben ‚Expertinnen‘“, denen eine Bühne geboten werde („Die Story“: Transphobe „Expert*innen“ gegen trans Jugendliche). Auf der anderen Seite veröffentlichten große Magazine wie DER SPIEGEL Interviews und Artikel, die vor einem Medizin-Skandal warnten, in dem Kinder vorschnell zu Transitionsbehandlungen geführt würden. Jede dieser medialen Darstellungen erzeugt Gegenreaktionen: Trans-Aktivistinnen betonen, die Berichte über „Modephänomene“ seien übertrieben und schürten unbegründete Ängste; dem gegenüber meinen andere, es gäbe eine Art „politische Korrektheit“, die offene Diskussion unterdrücke. Insgesamt ist festzustellen, dass das Thema stark polarisiert: Talkshows und Debattenbeiträge lösen oft emotionale Reaktionen aus, und es besteht die Gefahr, dass differenzierte wissenschaftliche Erkenntnisse im öffentlichen Schlagabtausch verloren gehen.

Juristische Auseinandersetzungen um Behandlungen: Bisher gab es in Deutschland wenige bekanntgewordene Gerichtsentscheidungen zur medizinischen Behandlung trans* Jugendlicher – im Gegensatz etwa zu England (Stichwort Bell vs. Tavistock-Urteil 2020). Allerdings bahnen sich auch hier Konflikte an: Durch die neue Leitlinie und das SBGG könnte es Fälle geben, in denen Jugendliche vor Gericht ziehen, um eine Behandlung gegen den Willen der Eltern durchzusetzen (oder umgekehrt Eltern gegen eine aus ihrer Sicht vorschnelle medizinische Maßnahme vorgehen). Ein indirektes juristisches Votum war der Beschluss des Deutschen Ärztetages, der zwar keine Gesetzeskraft hat, aber als Standesentscheidung die Richtung wies, indem er sich gegen pubertätsblockierende oder hormonelle Behandlungen außerhalb von Studien aussprach (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Dies signalisiert, dass ein beträchtlicher Teil der Ärzteschaft rechtliche Risiken bei solchen Eingriffen sieht und auf Absicherung drängt. Auch im Familienrecht wird diskutiert, wie das Kindeswohl in Fällen von Transidentität zu definieren ist – z.B. ob das Verweigern einer Transition durch Eltern als Kindeswohlgefährdung gewertet werden könnte oder ob eher die medizinische Transition das Kindeswohl gefährdet, solange die Langzeitfolgen unklar sind. Solche Fragen könnten Gerichte zukünftig beschäftigen.

Öffentliche Meinung und Protest: Die gesellschaftliche Debatte spiegelt sich auch in Demonstrationen und Petitionen wider. Trans*-Jugendliche und ihre Unterstützer organisieren sich, um Akzeptanz und Unterstützung einzufordern, während gleichzeitig Gruppierungen wie “Eltern für Aufklärung” oder einzelne prominente Skeptiker vor Schulen und in sozialen Medien vor einer „Indoktrinierung zum Transsein“ warnen. Die Tatsache, dass diese Diskussion teils von rechtspopulistischen Akteuren instrumentalisiert wird, sorgt zusätzlich für Spannungen – niemand möchte sich mit rechten Ideologien gemein machen, was die sachliche Kritik manchmal erschwert. So beklagen Befürworter der Leitlinie, dass Begriffe wie „Kinderschutz“ von rechten Kreisen gekapert würden, um Stimmung gegen Trans-Personen zu machen (Kinder- und Jugendleitlinie erschienen: mit evidenzbasierter Medizin für eine gute, am Einzelfall orientierte Versorgung · Bundesverband Trans*). Umgekehrt haben manche Eltern oder Therapeuten Angst, als transphob diffamiert zu werden, sobald sie Bedenken äußern.

Insgesamt befindet sich Deutschland in einer Phase, in der die gesellschaftliche Haltung zu Transidentität im Wandel ist. Gesetzliche Liberalisierung auf der einen Seite und mahnende Stimmen (fachlich wie politisch) auf der anderen prallen aufeinander. Das Thema Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen steht exemplarisch für diesen Konflikt: Es tangiert medizinische, ethische und rechtliche Fragen zugleich und wird deshalb so intensiv und mitunter hitzig diskutiert.

Soziologische Perspektiven: Zunahme der Diagnosen und mögliche soziale Einflüsse

Die auffällige Zunahme von GD-Diagnosen und Trans-Selbstidentifikationen* in den letzten Jahren wirft soziologische Fragen auf. Statistisch zeigt sich in vielen westlichen Ländern ein Mehrfaches an Anmeldungen in Geschlechtsidentitäts-Ambulanzen im Vergleich zu vor 10 Jahren (). Auffällig ist auch ein Wandel im Geschlechtsprofil der Betroffenen: Waren es früher überwiegend biologisch männliche Personen, die sich als trans* Frau outeten (Trans-Frauen), so dominieren nun in Jugendkohorten biologisch weibliche Jugendliche, die eine männliche oder non-binäre Identität anstreben (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Dieses sogenannte „Gender Ratio Reversal“ wird u.a. aus den UK- und US-Kliniken berichtet und findet sich auch in Deutschland. Zudem tritt Geschlechtsdysphorie heute häufiger erstmals in der Pubertät oder Adoleszenz auf, während in früheren Generationen viele transsexuelle Menschen schon im frühen Kindesalter eine deutliche, konstante Geschlechtsabweichung zeigten.

Diese Veränderungen haben zu der Hypothese geführt, es könne sich teilweise um ein sozial bedingtes Phänomen handeln. Die kontrovers diskutierte Idee der sozialen Ansteckung oder social contagion bei Genderdysphorie besagt, dass insbesondere unsichere Jugendliche durch Peer-Einflüsse und Medien zur Annahme einer Trans-Identität verleitet werden könnten, obwohl ihre Dysphorie andernfalls nicht persistiert hätte (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Befürworter dieser These verweisen auf Fälle, in denen mehrere Freunde eines sozialen Umfelds nahezu zeitgleich Transidentitäten annehmen, oder darauf, dass Jugendliche erst nach intensiver Beschäftigung mit Trans-Foren in sozialen Medien Symptome bei sich „entdecken“. Dr. Lisa Littman hatte 2018 in einer elternbasierten Umfragestudie den Begriff Rapid Onset Gender Dysphoria (ROGD) geprägt und beschrieben, dass viele Eltern von einem plötzlich auftretenden Trans-Outing ihres Teenagers berichteten, oft nach exzessiver Internetnutzung und innerhalb von Freundescliquen (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Diese Publikation war zwar methodisch kritisiert, doch stieß sie eine internationale Debatte an. Alexander Korte und andere greifen dieses Konzept auf, um die deutsche Situation zu erklären (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Korte erwähnt z.B., dass in einer Gruppentherapie mehrere Patientinnen sich gegenseitig bestärkten, trans zu sein, obwohl im individuellen Verlauf Zweifel bestanden (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). In seinen Worten: „In bestimmten Szenen ist es hip, trans zu sein“ (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ) – was impliziert, dass eine jugendkulturelle Mode oder ein Gruppendruck existiert.

Dem steht die Perspektive gegenüber, dass die Zunahme an Trans*-Personen kein Artefakt, sondern Ausdruck einer Enttabuisierung und gesellschaftlichen Offenheit ist. So argumentieren viele Soziologen und Aktivisten, dass es schon immer einen gewissen Prozentsatz an gendernonkonformen Menschen gab, die aber früher mangels Wissen oder aus Angst vor Stigma ihre Gefühle unterdrückten. Erst durch mehr Aufklärung, Repräsentation in den Medien (trans Stars, Influencer) und rechtliche Verbesserungen trauten sich Betroffene aus der Deckung. Ein oft zitierter Vergleich ist der mit der Linkshändigkeit: Deren Prävalenz „stieg“ nach dem Verbot der Umerziehung in den 1970er Jahren sprunghaft an, weil Menschen nun ihre natürliche Händigkeit zeigen konnten. Analog könnte die hohe Zahl trans* Jugendlicher bedeuten, dass endlich Bedürfnisse sichtbar werden, die zuvor verdrängt wurden. Befunde, dass immer mehr jüngere Kinder schon im Grundschulalter ihre Trans-Identität äußern, deuten ebenfalls darauf hin, dass es kein reines Pubertätsphänomen ist. Prof. Romer betont, in vielen Fällen sei die Transidentität „in aller Regel viel früher gefestigt“ und werde nicht bloß in der Pubertät „ausprobiert“ (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Dies widerspricht der Annahme, es handle sich hauptsächlich um eine Mode.

Wissenschaftlich versucht man, die Ursachen der GD besser zu verstehen. Diskutiert werden etwa Einflüsse von Genderrollen: In unserer modernen Gesellschaft mit sehr ausgeprägten Schönheitsidealen und Rollenbildern könnte es für manche Jugendliche leichter sein zu sagen „Ich bin eigentlich Junge“, als dem Druck zu genügen, der an Mädchen gestellt wird (Stichwort: Essstörungen und Dysmorphophobien treten auch vor allem bei Mädchen in der Pubertät auf). Korte deutet dies an, wenn er sagt, viele der betroffenen Mädchen litten unter den „gesellschaftlichen Rollenklischees oder Schönheitsidealen“ und hätten einen sexualitätsbezogenen Konflikt (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Hierbei schwingt die Vermutung mit, dass manche Jugendliche Transidentität als Erklärungsmodell oder Bewältigungsstrategie wählen, um mit allgemeinen pubertären Problemen (Körperakzeptanz, sexuelle Orientierung, Trauma) umzugehen (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ) (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Diese These ist jedoch schwer zu verifizieren.

Ein robust belegter soziologischer Aspekt ist die überdurchschnittliche Häufung von Neurodiversität bei Jugendlichen mit GD. Studien aus mehreren Ländern zeigen, dass Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) signifikant häufiger bei genderdysphorischen Jugendlichen vorkommen als in der Allgemeinbevölkerung ([PDF] NEK-CNE_Stellungnahme_Geschlechtsdysphorie_DE.pdf) ([PDF] NEK-CNE_Stellungnahme_Geschlechtsdysphorie_DE.pdf). Umgekehrt finden sich in Autismus-Stichproben ebenfalls erhöhte Raten von Gender-Inkongruenz (Autismus-Spektrum-Störungen und Geschlechtsdysphorie bei …). Autistische Jugendliche haben oft Schwierigkeiten mit sozialen Rollen und können rigide Interessen entwickeln – einige Fachleute vermuten, dass dies das Entstehen einer Transidentität begünstigen könnte, weil ein intensives Eintauchen in das Thema Geschlecht eine vermeintlich klare Lösung für erlebte Andersartigkeit bietet. Allerdings kann Autismus auch unabhängig mit Genderdysphorie koexistieren, ohne dass das eine das andere „verursacht“. Die Überschneidung wirft dennoch Fragen auf, ob bestimmte Jugendliche (z.B. Mädchen mit ASS) derzeit in besonderem Maß in die Transitionsmedizin gelangen, während ihre anderen Probleme (soziale Ängste, Depression, autistische Züge) vielleicht vorrangig behandelt werden müssten.

Ein weiterer Punkt ist das Konzept der sozialen Konvergenzeffekte. Damit ist gemeint, dass Jugendliche sich in ihrem Ausdruck wechselseitig beeinflussen, ohne dass man es so drastisch wie „Ansteckung“ formulieren muss. Ähnlich wie sich Mode- oder Musikstile in Jugendcliquen verbreiten, können auch Identitätsentwürfe wie non-binär, genderqueer oder trans* an Attraktivität gewinnen, weil sie einem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Besonderheit entsprechen. Dieser Effekt verstärkt sich in Zeiten von TikTok und YouTube, wo sehr persönliche Geschichten weitreichende Resonanz finden. Trans-Influencer teilen teils sehr offen ihre Transitionserfahrungen und werden zu Idolen. Für einen Jugendlichen, der sich „irgendwie anders“ fühlt, kann die Identifikation mit so einem Narrativ sehr reizvoll sein – es liefert eine Schublade und Gemeinschaft, in die man sich einordnen kann. Das ist nicht per se negativ: Vielen gibt es Halt, endlich Worte und Vorbilder zu haben. Aber es birgt die Gefahr, dass andere Entwicklungswege (z.B. das Ausprobieren verschiedener Gender-Expressionen ohne sofortige Festlegung) weniger genutzt werden.

Insgesamt bieten die soziologischen Betrachtungen zwei Extreme als Erklärung: Entweder ist die Zunahme hauptsächlich ein Ausdruck neuer Freiheiten (mehr trans* Menschen bekennen sich offen) oder es handelt sich teils um eine Trendbildung (mehr Menschen interpretieren ihre Unsicherheiten als Transidentität). Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte: Mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz haben sicherlich einen großen Nachholeffekt ausgelöst – zugleich müssen Fachleute sensibel prüfen, ob bei jedem Einzelfall wirklich eine gefestigte Transidentität vorliegt oder ob andere Faktoren (soziale Dynamik, Trauma, psychische Vorerkrankungen) eine Rolle spielen, die zunächst bearbeitet werden sollten. Die Leitlinie versucht diesem Dilemma gerecht zu werden, indem sie Zeit für Exploration einräumt, was sozialwissenschaftlich sinnvoll erscheint. Die Diskussion um „soziale Ansteckung“ wird allerdings voraussichtlich weitergehen, da belastbare empirische Studien hierzu rar sind und oft ideologisch aufgefasst werden. Für Praktiker bleibt wichtig: weder die Möglichkeit sozialer Einflüsse zu ignorieren, noch pauschal jedem Trans-Jugendlichen zu unterstellen, er oder sie sei nur Opfer eines Trends. Eine individualisierte soziokulturelle Anamnese ist der Schlüssel, um bei jedem Jugendlichen zu verstehen, welche Bedeutung die eigene Geschlechtsidentifikation im jeweiligen Lebenskontext hat.

Aktuelle Studienlage: Inzidenz, Verlauf, Komorbiditäten und Therapieergebnisse

Die wissenschaftliche Datenlage zur Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen ist einerseits im Fluss (viele neue Studien in jüngster Zeit), andererseits nach wie vor von Unsicherheiten geprägt. Im Folgenden werden zentrale Erkenntnisse zu Häufigkeit (Inzidenz/Prävalenz), Verlaufsdynamik (Persistenz/Desistenz), Komorbiditäten und Therapie-Outcomes dargestellt.

Inzidenz und Prävalenz: Belastbare epidemiologische Daten liegen nur begrenzt vor, da erst mit ICD-11 die Diagnose „Geschlechtsinkongruenz“ sauber erfasst wird. Ältere Studien (z.B. Meta-Analyse von Arcelus et al. 2015) kamen auf eine Gesamtprävalenz von ca. 0,6 pro 100.000 bei Jugendlichen (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie) – was allerdings die heutige Situation unterschätzt. Krankenversicherungsdaten aus Deutschland zeigen einen starken Anstieg der Behandlungsfälle: So stieg die Zahl neu diagnostizierter GD-Jugendlicher, die eine hormonelle Therapie begannen, zwischen 2014 und 2019 um den Faktor 3,2 (von ~330 auf ~1060 Fälle pro Jahr) (). Dies entspricht einer ungefähren Inzidenz von 1 zu 20.000 Jugendlichen pro Jahr (hochgerechnet). Bei jungen Erwachsenen (18–30 Jahre) war ein ähnlicher Anstieg um Faktor 3,5 zu verzeichnen (). Neuere Schätzungen in einigen westlichen Ländern gehen davon aus, dass etwa 1–3% der Jugendlichen ein gewisses Maß an Gender-Inkongruenz erleben, aber nur ein Bruchteil davon den klinischen Schwellenwert einer behandlungsbedürftigen Dysphorie erfüllt. Genauer unterscheiden muss man sozialer Rollenwechsel vs. medizinische Transition: Eine UK-Studie 2021 fand z.B., dass 2,5% der Jugendlichen sich als trans oder non-binär identifizieren, doch längst nicht alle suchen eine medizinische Angleichung.

Verlauf: Persistenz vs. Desistenz: Eine der zentralen Fragen ist, wie stabil eine Geschlechtsdysphorie im Entwicklungsverlauf bleibt. Ältere Langzeitstudien zu präpubertären Kindern (z.B. Steensma et al. 2013) zeigten, dass etwa 80% der Kinder mit GD nach Einsetzen der Pubertät keine GD mehr aufwiesen und meist als lesbisch/schwul oder gender-nonkonforme Cis-Personen weiterlebten. Nur ~20% persistierten und wurden transsexuell im engeren Sinne. Diese hohe Desistenzrate wird von Trans-Aktivisten teilweise in Zweifel gezogen, da die Studienmethodik (Einschlusskriterien etc.) kritisiert wurde. Gleichwohl stellt kaum jemand infrage, dass ein relevanter Anteil der Kindheits-GD sich verwächst. Bei der heutigen Klientel, die oft erst in der Pubertät auftritt, ist die Vorhersage schwieriger. Es gibt noch nicht genügend Langzeitdaten dieser neuen Kohorten. Erste Hinweise liefert eine aktuelle Auswertung deutscher Krankenkassendaten, auf die Zepf verweist: Danach hatten nach 5 Jahren nur 36,4% der als Jugendliche diagnostizierten GD-Patient*innen noch eine GD-Diagnose (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Die Persistenzrate lag in allen Altersgruppen unter 50% (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Besonders niedrig war sie bei biologisch weiblichen Jugendlichen (15–19 Jahre): nur 27,3% hatten nach fünf Jahren noch diese Diagnose (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Bei jungen erwachsenen biologisch männlichen Patienten lag sie bei knapp 50% (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Diese Zahlen deuten darauf hin, dass viele Jugendliche die GD-Diagnose im Laufe der Zeit verlieren – sei es, weil sie sich mit dem Geburtsgeschlecht arrangieren (Desistenz) oder weil sie ggf. in anderen Versorgungssystemen weiterbehandelt werden (die Daten beziehen sich auf Abrechnungsdiagnosen). Dennoch unterstützen sie die Annahme, dass Vorsicht bei irreversiblen Schritten geboten ist, da eine erhebliche Fraktion sich umentscheidet oder keine weitere Behandlung wünscht. Zu beachten ist allerdings, dass Diagnosen im Verlauf auch aus formalen Gründen verschwinden können (z.B. Wechseldiagnose zu Transsexualität o.Ä.).

Komorbiditäten: Zahlreiche Studien belegen, dass Jugendliche mit GD überdurchschnittlich häufig weitere psychische Probleme oder Diagnosen aufweisen. Ein Review gibt an, dass 30–75% der Betroffenen eine komorbide psychische Störung haben, typischerweise Depressionen, Angststörungen, ADHS, Essstörungen oder selbstverletzendes Verhalten (Management von Jugendlichen mit Transidentität) (Zunahme von Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen). Auch Traumatisierungen (sexueller Missbrauch, Mobbing) sind keine Seltenheit und können die Identitätsentwicklung beeinflussen (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ) (Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“ | taz.de ). Besonders hervorzuheben ist – wie oben erwähnt – die Autismus-Spektrum-Störung (ASS), die bei GD-Patienten etwa 6-8fach häufiger diagnostiziert wird als im Bevölkerungsdurchschnitt ([PDF] NEK-CNE_Stellungnahme_Geschlechtsdysphorie_DE.pdf). So fand z.B. eine Untersuchung, dass 4–6,5% aller Kinder und Jugendlichen mit primärer ASS-Diagnose eine Geschlechtsinkongruenz zeigten (Autismus-Spektrum-Störungen und Geschlechtsdysphorie bei …) – deutlich mehr als der zu erwartende Anteil von <0,1% in diesem Alter. Umgekehrt liegen Schätzungen für den Anteil von ASS bei trans* Jugendlichen zwischen 6% und 26%, je nach Setting. Diese Komorbiditäten erfordern in der Praxis eine ganzheitliche Diagnostik: Oft ist unklar, ob die Dysphorie Ursache oder Folge anderer Probleme ist (z.B. ein depressiver Teenager glaubt, das Geschlecht sei das Problem, oder eine ohnehin identitätsunsichere Person mit ASS fixiert sich auf Gender). Klar ist, dass unbehandelte Komorbiditäten den Verlauf von GD ungünstig beeinflussen können. Beispielsweise können Depressionen und Angststörungen sowohl durch die gesellschaftliche Situation von Trans-Jugendlichen (Ablehnung, Minderheitenstress) als auch unabhängig davon entstehen. Ein hoher Anteil (um 30–50%) berichtet suizidale Gedanken, was den Druck erhöht, rasch zu helfen. Allerdings muss eine Verbesserung der GD nicht automatisch die anderen Probleme lösen – manchmal verstärken sie sich sogar unter dem Stress einer Transition. Daher fordern viele Leitlinien, erst psychische Stabilität herzustellen, bevor somatische Maßnahmen erwogen werden.

Therapie-Outcomes: Die entscheidende Frage lautet: Verbessert eine Geschlechtsangleichung die psychische Gesundheit und Lebensqualität von trans Jugendlichen?* Hierzu gibt es Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen. Die bekanntesten sind die prospektiven Studien der Niederländischen Arbeitsgruppe um de Vries & Cohen-Kettenis, welche Jugendliche mit Pubertätsblockern und später Hormonen behandelten. Bei den sorgfältig ausgewählten Jugendlichen dieser Studien zeigte sich nach abgeschlossener Transition (inkl. Operation nach 18 J.) eine Reduktion der GD-Symptomatik und der psychischen Belastung sowie eine hohe Zufriedenheit (AWMF-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie im Kindes- und Jugendalter) (AWMF-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie im Kindes- und Jugendalter). Diese Ergebnisse untermauern das sogenannte „niederländische Protokoll“ und wurden lange als Beleg dafür gesehen, dass frühe Intervention einen positiven Effekt hat. Allerdings handelte es sich um relativ kleine Stichproben ohne Kontrollgruppe.

Neuere angloamerikanische Studien lieferten gemischte Befunde: Eine US-Studie (Turban et al. 2020) fand retrospektiv, dass junge Erwachsene, die als Jugendliche Pubertätsblocker erhalten hatten, seltener Suizidgedanken berichteten als solche, die die Behandlung wollten, aber nicht bekamen. Diese Art von Daten hat jedoch methodische Limitierungen. Eine prospektive Studie aus den USA (Tordoff et al. 2022) beobachtete bei etwa 100 trans* Jugendlichen, die Hormone nahmen, nach 12 Monaten moderate Verbesserungen in Depressionsscores und Lebensqualität. Allerdings fehlte eine Vergleichsgruppe, sodass Placebo-Effekte oder Reifungseffekte nicht auszuschließen sind. Demgegenüber stehen die systematischen Reviews von NICE (UK 2020), die zu dem Schluss kamen, dass die Evidenz für einen Nutzen von Pubertätsblockern oder Hormonen sehr niedrig ist und keine eindeutige Verbesserung wichtiger Endpunkte (wie psychische Gesundheit oder soziale Teilhabe) nachgewiesen werden konnte (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie) (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie). Diese Bewertungen wurden durch den Cass-Report (England 2022/2023) bestätigt, der ebenfalls auf die vielen unbekannten Faktoren hinwies. In Finnland (2020) kam eine Expertenkommission zu dem Ergebnis, dass Psychotherapie vor einer körperlichen Behandlung stehen soll, da unklar ist, ob die Transition die richtige Hilfe bringt – insbesondere bei Jugendlichen mit komplexen psychischen Problemen.

Ein alarmierendes Ergebnis stammt aus einer sehr großen US-Datenbankstudie (2023, noch nicht in vollem Wortlaut hier zitiert): Unter über 100.000 erwachsenen Trans-Patient*innen hatten jene, die eine geschlechtsangleichende Operation hinter sich hatten, ein höheres Risiko für Depressionen, Angststörungen, Suizidgedanken und Substanzmissbrauch als diejenigen ohne Operation (Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen: Deutsche Leitlinie stößt auf Widerspruch). Dieses Ergebnis ist schwer zu interpretieren – möglicherweise waren die operierten Personen vorher schon belasteter, oder die Operation hat Erwartungen nicht erfüllt. Jedenfalls dient es Kritikern als Hinweis, dass medizinische Maßnahmen nicht automatisch zu besserer psychischer Gesundheit führen und in manchen Fällen sogar neue Probleme schaffen können.

Aus den verfügbaren Studien ergibt sich ein differenziertes Bild: Ein Teil der Jugendlichen profitiert offenbar von einer gut begleiteten körperlichen Geschlechtsangleichung – insbesondere jene, die tatsächlich eine stabile Transidentität haben und bei Behandlungsbeginn psychisch stabil sind. Sie berichten nach Übergang oft Erleichterung und können ihr Leben freier gestalten. Andere hingegen erfahren geringe oder vorübergehende Besserungen, manche bereuen die Schritte später (Detransition). Die Rate der Detransition wird kontrovers diskutiert – Schätzungen liegen je nach Studie zwischen unter 1% bis zu 8%. Langzeitdaten fehlen hier weitgehend. Ein britisches Follow-up (2021) von Jugendlichen auf Pubertätsblockern ergab, dass 98% später auch Hormone nahmen, was eher auf Fortsetzung als Umkehr hindeutet. Allerdings gibt es vermehrt Einzelfallberichte von jungen Erwachsenen, die ihre Transition abbrechen und kritisieren, dass ihnen in der Jugend zu schnell irreversible Behandlungen ermöglicht wurden. Diese Fälle finden in den Medien große Beachtung (z.B. Keira Bell in UK), auch wenn sie statistisch selten sein mögen. Sie mahnen, dass Outcome nicht nur kurzfristige Zufriedenheit, sondern auch langfristige Lebensführung (Bildung, Beziehungen, körperliche Gesundheit) umfassen muss.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Evidenzlage ist noch unzureichend, um eindeutige Aussagen über die langfristigen Therapieergebnisse zu machen. Positive Effekte auf die Geschlechtsdysphorie selbst sind bei vielen Jugendlichen naheliegend – wer sich dem empfundenen Geschlecht annähert, fühlt sich zunächst kongruenter. Unklar bleibt, ob dies auch die allgemeine psychische Morbidität senkt oder ob die hohe Grundrate an Problemen bestehen bleibt. Zepf et al. fassen es so zusammen: „Die aktuelle Studienlage deutet derzeit nicht darauf hin, dass sich die GD im Speziellen und die psychische Gesundheit im Allgemeinen im Verlauf der weiteren Entwicklung nach Gabe von PB oder CSH bedeutsam verbessern.“ (Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie). Demgegenüber argumentieren Trans-Gesundheitsforscher, dass bereits die Linderung der Dysphorie an sich ein Erfolg ist und viele Jugendliche nach Transition produktive, glückliche Erwachsene werden – was man eben auch in Registern sieht, in denen die Mehrheit nicht detransitioniert.

Der Konsens in der Fachwelt ist, dass weiterführende Forschung dringend notwendig ist. Prospektive Langzeitstudien mit großen Fallzahlen und Kontrollgruppen sollten folgende Fragen beleuchten: Welche Faktoren sagen einen positiven vs. negativen Verlauf voraus? Wie entwickeln sich diejenigen, die keine körperliche Transition machen, im Vergleich zu denen, die alles durchlaufen? Welche Rolle spielen begleitende Therapien, Familie, soziale Unterstützung? Ebenso braucht es Daten zur sexuellen und körperlichen Gesundheit der nach Transition aufwachsenden jungen Generation (Fruchtbarkeit, Knochengesundheit, Operationsergebnisse, etc.). Erste Initiativen, wie z.B. in Schweden und UK laufende Registerstudien, geben Hoffnung, dass in einigen Jahren belastbarere Antworten vorliegen.

Für die aktuellen Fachkräfte der Kinder- und Jugendpsychiatrie bedeutet all dies: Sie müssen in einem Umfeld von Unsicherheit und Kontroversen Entscheidungen treffen. Die Leitlinie bietet einen Rahmen, aber auch sie gesteht die Lücken ein. Letztlich ist ein individualisiertes Vorgehen nötig, das Evidenz, klinische Erfahrung und die Bedürfnisse des jungen Menschen in Einklang bringt. Die Debatte in Deutschland – zwischen Affirmation und Abwarten, zwischen Selbstbestimmung und Schutz – wird wahrscheinlich weitergehen, bis mehr Klarheit erreicht ist. Fachkräfte sind angehalten, diese Diskussion aufmerksam zu verfolgen, kritisch zu hinterfragen und vor allem empathisch und fachkundig die Jugendlichen zu begleiten, die inmitten dieser Kontroverse nach Orientierung suchen. Denn jenseits aller ideologischen Positionen steht das Wohl der einzelnen jungen Menschen, die mit ihrer Geschlechtsidentität ringen – und ihnen gilt es, mit dem besten verfügbaren Wissen und Gewissen zur Seite zu stehen.

Literatur und Quellen: (siehe Fußnoten im Text)